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Brief aus Chemnitz, geschrieben am 10. Dezember 1947

Geschrieben an Familie, die offenbar nach der Besetzung Deutschlands von Chemnitz nach Bovenden bei Göttingen, also in die Westzone umgesiedelt sind.


         Chemnitz, den 10.12.47

          Mein lieber Armin!
Ich war ganz erschüttert, daß Du trotz Deiner
vielseitigen und den ganzen Menschen be-
anspruchenden Tätigkeit noch Zeit für mich
zu einem Briefe fandest. So danke ich Dir
recht herzlich für Deine lieben Zeilen vom
31.10. . Das kleine Bildchen von Dir und
Deiner Christel gefällt uns sehr gut, auch
dafür recht schönen Dank. Wir finden, daß
Ihr beide recht gut zu einander paßt.
Wie wunderbar ist es doch, daß Ihr Euch
finden mußtest! Du warst heimatlos und
lerntest dort liebe Menschen kennen, die
Dir Heimat ersetzten. So ist bei manchem
Unglück auch oft noch was Gutes dabei und
man sieht die Führung Gottes. - Ich freue
mich so, daß Du zu Deinen Beruf die innere
Bereitschaft hast und es Dir zusagt.
Vielleicht kommt auch noch eine gute
Zeit für Deinen lieben Vater. Diese Entnazi-
fizierungen dauern ja immer sehr lange.
Die Hauptsache ist es, daß er jetzt gesund ist.
Deine Mutter macht mir Sorgen mit ihrer
schwachen Gesundheit. Gott gebe, daß es
Ihr wieder besser geht. Weihnachten seid
Ihr Lieben hoffentlich zusammen, denn
Deine Eltern werden sicher nicht gerne
allein in dem trostlosen Bovenden bleiben
wollen. Schließlich kommt auch Dietlind

nach Griedel, denn bei ihr wird wohl
zu wenig Raum für einige Personen sein.
Wie gerne hätte ich Euch zu den Feiertagen
bei mir! Ob doch mal die Zonengrenzen
fallen werden? Hier wird ja viel davon
gesprochen und von dem stattgefundenen
Kongress in Berlin erwartet. Jedoch muß

(Anmerkung des Websitebetreibers:
Am 6. Dezember 1947 fand in Ostberlin unter Leitung der SED der 'Volkskongress für die deutsche Einheit und einen gerechten Frieden' statt. Ziel des Kongresses war die Umsetzung der Alliierten Beschlüsse von Jalta und Potsdam und die Wiederherstellung der deutschen Einheit. Als Ergebnis sollte eine Resolution erarbeitet werden, die den Außenministern der Siegermächte anlässlich deren Lodoner Tagung am 10. Dezember 1947 übergeben werden sollte.)

man abwarten und dann Tee trinken.
Schade, daß Du nicht in Bayern warst
und Tante Annchen besucht hast. Die Arme
hat ja schwere Enttäuschungen an ihrem
Sohn und der Schwiegertochter erlebt. Sie
hat so sehr viel Gutes von dem Zusam-
menleben gehofft und kann ich mir
denken, wie sehr sie darunter leidet,
daß sie nun so schnöde behandelt wird.
Vielleicht zieht sie wieder fort, wenn sie
gescheit ist. Im Oktober dachte ich, daß
Deine lieben Eltern zu uns kämen, leider
ist nichts draus geworden. Nun möchte ich
ihnen die Betten durch einen Spediteur
schicken, habe aber weder Stroh- noch
Kartoffelsäcke. Es gibt hier auch keiner-
lei Verpackungsmaterial zu kaufen.
Inzwischen müssen die Armen ohne
die Betten frieren. Das ist doch schade,
daß die Wohnungsverhältnisse in Bov.
so schlecht sind. Na, vielleicht bekommen
sie mal eine Wohnung in Göttingen-
wie Blanks - durch Tausch.

In 14 Tagen ist bereits Weihnachten, wer
weiß, ob dieser Brief bis dahin ankommt.
Deine Mutter schrieb mir einen, der ging
grad 4 Wochen, ich machte mir schon Ge-
danken, was mit ihr los wäre. Man
kann sich nicht mehr auf die Pünktlich-
keit der Post verlassen.- Daß Tante Minka
sich so aufreibt, ist ja schlimm. Sage ihr
mal viele, liebe Grüße von mir und daß der
Mensch nicht nur zum Abrackern geschaffen
wurde. Einmal versagt auch die größte
Energie und dann klappt sie zusammen.
Wie schön, daß es Frau Tscherke besser geht,
da wird doch hoffentlicht die T.B.C. ausgeheilt
sein. - Bei der jetzigen Ernährung haben
viele Menschen diese gefährliche Krankheit.
Dein Schulfreund Heinz Laurihn ist bereits
aus England heimgekehrt. Aber nicht nach
der russ. Zone, sondern nach dem Westen,
hat er sich entlassen lassen. Er will
in Bethel bei Bielefeld weiter Theologie
studieren, nachdem er dort in England schon damit
angefangen hat. Zu Weihnacht wollte er ja
gerne in Chemnitz sein, aber ob er herüber
kann fragt sich. Er wird ja auch von
dem neuen Deutschland erschüttert sein,
zumal er doch wie aus dem Schlaraffen-
land kommt. Vielleicht hat er Dir auch
mal geschrieben? Nun könnt Ihr Euch
sogar besuchen.-

Wie sieht es bei Euch mit dem Brenn-
material aus? Bei uns ist es ja ganz schlimm.
Zur Zeit ist es aber draußen noch gelinde,
aber wenn es wieder so kalt wird wie im
vergangenen Winter, können wir frieren.
Na, wir wollen nicht zuviel sorgen.
Für heute schließe ich meinen Brief und
wünsche Dir von Herzen ein gesundes,
frohes Weihnachtsfest. Von Onkel Bernhard
und Erika ebenfalls herzliche Weihnachtsgrüße,
sollten Deine lieben Eltern da sein, so
grüße sie auch herzlich, ebenso Tante
Erika, Dietlind und Frl. Dorte.
                Herzlich grüßt Dich Deine
                Tante Frieda

© Horst Decker


 


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